Spiel der Woche - KW 44

Einen Notnagel ergreifen

Heute möchten wir einen Fall behandeln, der beim Skat schon viele Spieler zumindest kurzzeitig in tiefe Depressionen gestürzt hat. Das Finden eines schwarzen Buben im falschesten Moment, nämlich dann, wenn eine Farbe „ohne“ gereizt wurde und ein Spieler durch diesen Buben auf einmal überreizt ist. Oft ist er nun wehrlos und hat keine Chance, ein Verlustspiel zu vermeiden. Manchmal jedoch – so wie bei unserem Beispiel – gibt es noch ein Hintertürchen.

HH hatte einen sehr ordentlichen Ansatz für einen He ohne drei. Nachdem MH passte, musste er aber gegen VH 22 reizen, um an das Spiel zu kommen. Eine extrem optimistische Reizung von VH, die aber – wenn HH gepasst hätte – mit einem theoretischen (meint unverlierbaren) Grand mit zwei „belohnt“ worden wäre. Für HH hingegen war die Findung katastrophal. Pik B und D bedeuteten, dass er seinen He Schneider hätte spielen müssen, was mit seinen Karten jedoch schwer vorstellbar war.

Er entschied sich deshalb dafür, einen Grand zu probieren. Wäre der Kr B im Stock gewesen, hätte dieser auch als Springergrand eine realistische Siegchance gehabt, mit Pik B und einer ausdrücklichen Pik-Reizung von VH jedoch dürfte sich auch der AS nicht allzu große Hoffnungen gemacht haben. Schließlich war er zwingend darauf angewiesen, in der frühen Phase des Spiels einen Einschub zu bekommen. Und der war bei nur zwei starken Farben und der Reizung einer dritten Farbe nicht wirklich zu erwarten. Er kam auch nicht und der AS verlor seinen Grand recht deutlich.

Vielleicht aber hätte er einen Moment innehalten und über eine Alternative nachdenken sollen. Denn die war durchaus vorhanden. Ich vermute, er hat nur die Option He Schneider überlegt und meines Erachtens zu Recht verworfen. Aber was ist eigentlich mit der Reizfarbe von VH, mit Pik? Klingt auf den ersten Blick absurd, keine Frage, schließlich ist es nicht gerade der Traum eines Skatspielers, wissentlich gegen 5 oder gar 6 Atout zu laufen. Im Normalfall würde auch niemand auf so eine Idee kommen, aber in der Not ticken die Uhren anders.

Wenn ihr einfach mal über die Möglichkeit nachdenkt, was für den Pik spricht, kommt ihr bald dahinter, dass es weit mehr als das Naheliegende ist, nämlich dass der Pik im Verlustfall das billigste Spiel ist. Denn gerade mit der 22er Reizung von VH lassen sich durchaus, optimistisch gedacht, ein paar Hoffnungsschimmer verbinden. Zunächst mal könnte sie neben dem Motiv, Pik spielen zu wollen, auch bedeuten, dass VH den He nicht zulassen wollte und eine klassische Hebereizung angesetzt hat. Daraus kann man die Vermutung ableiten, dass er kein He führt.

Die nächste Frage, die man sich stellen kann, ist, was wäre, wenn er fünf bzw. sechs stehende Trümpfe hat. Hat er nur fünf Atout, sollte man ihm auch das (vielleicht sogar mindestens zweimal) besetzte Ka Ass zutrauen (eine andere Stärke kann er in Fehl ja gar nicht haben. Hat er hingegen sechs Trumpf, möglicherweise sogar mit beiden Trumpf-Vollen, muss er Ka Ass mitnichten führen. Bei beiden Trumpf Vollen und beiden Buben könnte man sogar eher vermuten, dass es bei MH steht, ansonsten liegt es nahe, dass VH einen Grand durch reizt.

Ihr seht schon, die von mir hier angestellten Vermutungen sind durchgängig falsch. Sollte jemand den Vorwurf an mich richten, ich hätte immer die perfekten Lösungen parat, NACHDEM ich die Kartenverteilung gesehen habe und könne anhand dieses Wissens wunderbar belehren, wie zu reizen, zu drücken oder zu spielen sei, träfe mich dementsprechend ungefähr so, als unterstelle man einem Chirurgen, er könne kein Blut sehen.

Bei meinen Spekulationen über potenzielle Gewinnchancen abstrahiere ich von dem Wissen um die tatsächlichen Kartenverteilungen. Die geäußerten Vermutungen basieren allein auf Erfahrungswerten und realistischen Reizerwartungen. Und wenn – wie in diesem Fall – eine Reizung am Rande des Irrsinns ist, stelle ich die Karten falsch, so einfach ist das. Das heißt aber nicht unbedingt, dass mein aus der vermuteten Kartenstellung abgeleiteter Gewinnplan chancenlos ist.

Ich drücke bei diesem Spiel beide He Vollen und behalte die blanke Ka 10 oben. Der Gedanke dabei ist, dass wenn VH tatsächlich kein He hat, aber das Ka Ass führt, er es eher nicht ausspielen wird. Schließlich möchte er es nicht gestochen sehen und die Chance, dass es auf He geladen werden kann, ist ja gegeben. Führt MH das Ka Ass, wäre das auch nicht schlimm, da dieser es erst recht nicht spielen wird, da er trumpfschwach ist und von seinem Partner explizit die Trumpffarbe Pik gereizt wurde. Und dieser würde sich hochgradig bedanken, wenn sein Partner eins von maximal zwei Vollen einfach so riskieren würde (zumindest wenn es schief ginge).

Das Spiel basiert also darauf, dass die blanke Ka 10 nach Hause geht und Kr Ass läuft. Mit den 21 Augen im Stock wäre das schon mal ein Anfang. Für den Rest gibt es mehrere Möglichkeiten. Wird unter Ka Ass geöffnet, kann es vielleicht später gestochen werden, da die Gegner nicht vermuten, dass die 10 blank war. Vielleicht lädt VH auch Ka Ass oder Kr 10 (so er die hat), auf den irgendwann ausgespielten He K. Und wer weiß, ob nicht sogar die Aussicht besteht, ein Trumpf-Volles zu schnappen, immerhin führt der AS ja zwei Buben (die blank stehende Kr 10 betrachte ich noch nicht mal als Option, die Chance ist einfach zu klein).

Wie aber könnte unter den gegebenen Umständen das Spiel laufen? VH sollte nach der Skattheorie als erste Karte He 9 öffnen. Die müsste MH mit der blanken D mitnehmen und der K hinten sähe für beide Spieler nach einem Schnitt aus. Anschließend ist das Kr Ass eine Pflichtkarte und zur freudigen Überraschung kommt die blanke 10. Der AS hat jetzt schon 49 Augen. Danach bietet es sich an, den Kr K zu spielen. Den sollte VH stechen. Erstens bringt ein Abwurf nichts (außer Augen für den AS) und zweitens sollte ihm, wenn er ein guter Spieler ist, schon langsam schwanen, dass seine Trumpf-Vollen in Gefahr sein könnten. Aber was macht er nun?

Trumpf spielen, wo er sich gerade trumpfschwach gemacht hat? Das kann gut sein, muss es aber bei weitem nicht. Oder doch Ka bringen, den vermutlichen Schuss, in der Einsicht, dass er wahrscheinlich sowieso nicht drum rum kommt, wenigstens einmal Schuss zu spielen? Ich denke, die meisten (incl. mir selbst) würden in dieser Situation Ka bringen, da sie ja immer noch denken, dass der AS in He geschnitten hat. Deshalb erkennen sie die Gefahr einfach nicht.

Denn erstens kann kein Mensch darauf kommen, dass der AS jetzt die blanke 10 in Ka führt (und nach dem Stich gewonnen haben sollte: ein Skatspieler, der an Stelle von MH jetzt das Ass nähme, wäre entweder unfassbar schlecht oder übermenschlich gut!!!), zweitens ist auch gar nicht zu sehen, dass der AS bereits so viele Augen liegen hat. Und da VH beide Tr Vollen führt und davon ausgehen kann, dass sein Partner nicht mit einem Ka Vollen steigt, muss er auch nicht befürchten, dass sich der AS allzu viele Augen nach Hause sticht.

Und wenn alle tatsächlich in die Richtung denken, die ich so hübsch auf dem Reisbrett konzipiert habe, ist das Wunder (oder sollte ich sagen „vermeintliche Wunder“?) schon vollbracht. Doch mehr als diese Theorie kann ich euch leider nicht anbieten. Der AS hatte eine andere Idee, und so werden wir nie erfahren, ob er mit meiner gewonnen hätte.